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Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr (MHM) zeigt bis zum 30. April 2013 eine Sonderausstellung über die Schlacht um Stalingrad im Winter 1942/43.

Das Museum zeigt hier Realstücke, die aus Stalingrad stammen, Feldpostbriefe, Waffen und Gerät sowie Wirkung und Wahrnehmung der Schlacht im geteilten Deutschland.

 

Die Realstücke stammen aus der Zeit um 1942. Sie machen die Lebenswelt der Zivilisten vor Beginn der Kämpfe anschaulich. Banale Dinge wie eine Underwood-Schreibmaschine, eine Aktentasche, Haus- und Straßenschilder oder ein Lautsprecher lassen erahnen, wie diese Welt ausgesehen haben könnte. Eine Luftaufnahme der Stadt zeigt, wie aufgelockert die Besiedlung war; wer sich mit den Kämpfen beschäftigt hat, wird hier den „Tennisschläger“, eine markante Gleisschleife, und die tiefeingeschnittenen Balkas wiedererkennen. Historisches Kartenmaterial zeigt, welches räumliche Denken in den höheren Stäben herrschte und welche Entfernungsannahmen als Grundlage der Entscheidungsfindung dienten.

 

Eine interessante Medienstation führt Tag für Tag vor, wie sich der Frontverlauf zwischen Don und Wolga vom Sommer 1942 bis zum Februar 1943 änderte. Hier sieht man, wie schnell sich die Front zuerst bis auf die Stadt vorschob, während der Kämpfe bis November 1942 lange erstarrte und dann durch die sowjetischen Stöße auf Kalatsch zur Einkesselung durchbrochen wurde. Die Außengrenze des Kessels blieb bis Mitte Januar 1943 stabil, um dann schnell auf einzelne Widerstandsnester im Stadtkern zusammenzuschrumpfen.

Feldpost beider Seiten.

Große Bedeutung hat die Feldpost von deutschen und sowjetischen Soldaten (siehe die Briefe des Heinz Heil in RWM-Depesche 09). So verwahrte man in Stalingrad, heute Wolgograd, jahrzehntelang deutsche Feldpostbriefe, die auf dem Schlachtfeld gefunden worden waren. Erst die Anfrage eines deutschen Wissenschaftlers führte dann zu einer ersten Katalogisierung und Auswertung. Die MHM-Ausstellung zeigt einige dieser Briefe.

Ein Datumsstempel, der auf dem 24. Dezember 1942 stehengelassen wurde, steht als Sinnbild für die Hoffnungen auf Entsatz, die mit dem Weihnachtsfest endgültig zerstoben. Die Stalingrader Madonna, die als Zeichnung zu Weihnachten 1942 auf der Rückseite einer sowjetischen Landkarte entstand, ist ebenfalls hier zu sehen.

Während die deutsche Feldpost inzwischen Thema der Forschung ist, sind die Briefe sowjetischer Soldaten nur ansatzweise ausgewertet. Die MHM-Ausstellung befaßt sich auch mit den Verbündeten Italien und Rumänien, an deren schwach besetzten Frontabschnitten die Sowjets im November 1942 durchbrachen.


Waffen und Gerät.

Waffen und Gerät dienen zur Erläuterung, welche Kampfmittel beiden Seiten damals zur Verfügung standen. Diese Exponate sind – wie beispielsweise die rumänische Orita-MP – teilweise echte Raritäten, stammen aber wohl nicht aus Stalingrad, wie eine nachgestrichene MG-34-Lafette und ein zusammengesetzter Karabiner hier oder eine von der NVA genutzte Zielvorrichtung auf eine Geschütz dort nahelegen.

Das NKFD.

In Gefangenschaft spaltete sich insbesondere das deutsche Offizierskorps; ein Teil entzog sich der sowjetischen Propaganda, ein anderer arbeitete im Nationalkommitee Freies Deutschland (NKFD) und im Bund Deutscher Offiziere (BDO) de facto für die Sowjets. Diese beiden Organisationen werden ebenfalls behandelt. In der sowjetischen Besatzungszone und in der SED-Diktatur sollten sie nicht nur ideologische Bedeutung erlangen. NKFD-Angehörige wie Vinzenz Müller waren maßgeblich am Aufbau der Kasernierten Volkspolizei beteiligt.

Die Ausstellung zeigt nicht nur den KVP-Uniformmantel von Wilhelm Adam, zuvor Adjudant von Generalfeldmarschall Paulus, sondern auch den Uniformmantel von Oberst i.G. Reinhard Gehlen, der die Feindaufklärung an der Ostfront leitete und später den westdeutschen BND aufbaute, oder den Uniformrock des Bundeswehrgenerals Artur Weber. Alle drei sind durch Stalingrad schicksalhaft verbunden.

Für die ideologische Bedeutung des NKFD steht das Gemälde „Nationalkommitee Freies Deutschland“ von Werner Tübke. 1969/70 gemalt, stellte es Walter Ulbricht in den Mittelpunkt. Der war wie Erich Weinert und Wilhelm Pieck Propagandist vor Stalingrad und damals gerade Staatsratsvorsitzender. 1971 wurde Ulbricht von Honecker abgelöst – das Gemälde verschwand im Depot.

Bereits unmittelbar nach den Kämpfen zeigten sowjetische Filme den Kampf aus deren Sicht. In Ost und West entstanden dann nicht nur mehr oder minder authentische Bücher zum Thema, sondern auch Filme wie „Zwanzig Tage ohne Krieg“, „Hunde, wollt ihr ewig leben“ oder „Stalingrad“.


Bewertung.

Der Beckmesser mag sich an Kleinigkeiten reiben: Da wird ein Geschoß, das den Führerstand einer Lokomotive durchschlug, konsequent als Patrone beschrieben. Statt des oben erwähnten, zusammengesetzten Karabiners mit Zf 41 hätte man sicher ein besseres Stück ausstellen können. Doch das sind Petitessen.

Die Ausstellung bringt einen Erkenntnisgewinn: „Stalingrad“ löst sich vom Stand angelesenen Wissens zu etwas Greifbarem, Nahen. Zudem wird die Wirkungsgeschichte in den vier Besatzungszonen Deutschlands anschaulich dargestellt; erst weitgehend gleich, dann mit zunehmender Ideologisierung vor allem in der Sowjetzone immer weiter auseinanderdriftend.

Der Katalog zur Ausstellung ist für 25 Euro (Klappbroschur) im Museumsladen oder für 38 Euro (gebunden, ISBN 978-3-95498-015-4) im Buchhandel erhältlich.

Besuch der Stalingrad-Ausstellung 

Eintritt: 7 Euro, ermäßigt 4 Euro

Öffnungszeiten des Museums:

Donnerstag bis Dienstag 10 bis 18 Uhr

Montag 10 - 21 Uhr

Mittwochs ist das Museum geschlossen

Weitere Informationen auf der MHM-Netzseite